Schlüsselerlebnisse braucht jede Generation

| erschienen in FRAZ Frauenzeitung

Schlüsselerlebnisse braucht jede Generation

Ich erinnere mich daran, als ob es gestern gewesen wäre: ich war als junge Lehrerin in einem Dorf im Entlebuch an meiner ersten Stelle tätig. Es war 1970 und die Wogen des Abstimmungskampfes zur «Schwarzenbach-Initiative», welche eine Beschränkung der Ausländerzahl auf 10% verlangte, gingen hoch. Als Tochter einer italienischen Mutter beschäftigte mich die Auseinandersetzung ausserordentlich intensiv und ich mischte mich heftig und häufig in die äusserst emotional geführten Debatten ein. Ich wusste haargenau Bescheid, worum es ging, litt und kämpfte mit. Dann kam der Abstimmungssonntag und ich durfte nicht mitentscheiden, da es noch kein Stimmrecht für uns Frauen gab. Diese Ungerechtigkeit hat mich fast aus den Schuhen gehauen, es war eine Art Schlüsselerlebnis und es hat meine Wahrnehmung für weitere Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern absolut geschärft.

Warum ich das erzähle, ist doch schon lange her, werden Sie sich vielleicht fragen. Ich tue es deshalb, weil ich überzeugt bin, dass es für ein leidenschaftliches politisches Engagement, das gegen aussen sichtbar wird, Schlüsselerlebnisse braucht. Ich habe mich in den letzen Jahren oft gefragt, warum so wenig Power in der Frauenbewegung steckt, wenn es eine solche denn überhaupt noch gebe. Ich interpretierte den weit verbreiteten Verzicht junger, gut ausgebildeter Frauen auf Kinder als eine Art unerklärten Gebärstreik einer Frauengeneration, die ihren Protest gegen die herrschenden Verhältnisse nicht mehr wie meine Generation auf die Strasse trägt. Die neue Form des Widerstand sei eben, so glaubte ich, der jüngeren Frauengeneration angepasst, weniger politisch im Sinn eines gemeinsamen Protests, sondern eher individualisiert, ohne gemeinsame Absprache und öffentliche Deklarationen, in dem die Frauen ganz einfach beim Gebären nicht mehr mitmachten. Ich gestehe auch, dass ich diese Form des Protests für eher unpolitisch und ineffizient gehalten habe.

Dann kam der 10. Dezember. Die Spannung war gross, Christoph Blocher bereits Bundesrat, Ruth Metzler bereits in die Wüste geschickt. Mit einem eindringlichen Appell versuchte ich, die doppelte Katastrophe für die Frauen noch zu verhindern.

«Ich möchte im Namen der grünen Fraktion - und ich denke, im Namen vieler Frauen hier drin und draussen – meinem Befremden darüber Ausdruck geben, wie mit den Frauen im Bundesrat umgesprungen wird, in den dreissig Jahren, seit es Frauen in der Politik gibt. Wir haben bis jetzt vier Bundesrätinnen gehabt; bei drei von ihnen hat es Dramen abgesetzt. Die erste Bundesrätin, Elisabeth Kopp, wurde für ein Vergehen aus dem Amt geschickt, von dem ich überzeugt bin, dass es keinem Mann den Sitz gekostet hätte. Die zweite Frau, Ruth Dreifuss wurde nur dank dem massiven Protest von Tausenden von Frauen, auch hier vor diesem Haus, gewählt. Die dritte Frau, Ruth Metzler, wurde von Ihnen, den rechten Männern, vor fünf Jahren gewählt und ist jetzt aus dem Amt geschickt worden, ohne dass ihr irgendwie gravierende Fehler vorgeworfen werden konnten. Micheline Calmy-Rey ist bis jetzt die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Jetzt kommen wir zum letzten Wahlgang. Es steht eine Kandidatin, Christien Beerli, zur Wahl. Wenn wir den Frauen in der Schweiz das Zeichen geben wollen, dass das politische Parkett für Frauen nicht einfach gefährlich ist und dass es besser ist, wenn Frauen sich nicht darauf begeben, dann haben wir jetzt noch eine letzte Chance, indem wir in der letzten Runde doch noch eine Frau in den Bundesrat wählen. Ich bitte Sie eindringlich, das zu tun. Es ist ein wichtiges Zeichen für die Frauen, damit sie nicht das Gefühl haben, auf dieses heikle, rutschige Parkett Politik begeben sie sich schon besser gar nicht.»

Leider blieb dieser Appell ohne Erfolg und statt Christine Beerli wurde Hans-Rudolf Merz in den Bundesrat gewählt. Wenn ich diesem schwarzen Tag für uns Frauen doch noch etwas Gutes abgewinnen kann, dann ist es die Hoffnung, dass dieser Tag zum Schlüsselerlebnis für eine ganze neue Generation von Frauen geworden ist. Es ist die Hoffnung, dass ihnen mit dieser Brüskierung ins Bewusstsein gerufen worden ist, dass die Errungenschaften der Frauenbewegung meiner Generation noch keineswegs gesichert sind und dass es das dauernde Engagement und die dauernde Achtsamkeit von Frauen über alle Generationen hinweg braucht. Denn freiwillig geben die Männer die Macht nicht ab und die Geschlechterfrage ist eine Machtfrage. Wer die Machtfrage nicht stellt, darf sich nicht wundern, wenn es immer wieder 10. Dezembers gibt. Inzwischen gibt es zwar keine Gesetze mehr, in denen Frauen explizit diskriminiert werden. Vordergründig ist alles bestens, aber die Diskriminierung ist heute subtiler, so dass es viele Frauen, vor allem junge Frauen bisher kaum mehr merkten, wie weit wir von der tatsächlichen Gleichstellung noch entfernt sind. Der 10. Dezember hat aufgerüttelt. Die Wut vieler junger Frauen, welche in blitzschnell organisierten Demos auf die Strasse getragen und damit sichtbar wurde, gibt Anlass zu Hoffnung! Auf dass sie anhalte, diese Wut!

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