Einreichung der Atomausstiegsinitiative

| Hintergrundpapier zum Referat von Cécile Bühlmann, Stiftungsrats-Präsidentin Greenpeace Schweiz, Medienkonferenz: Einreichung der Atomausstiegsinitiative

Laufzeitbeschränkung bringt Sicherheit und Klarheit für alle


Die heutige Regelung führt dazu, dass die AKW nur in einem Fall stillgelegt werden: wenn eine Inspektion technische Defekte zu Tage fördert oder wenn sich ein Zwischenfall ereignet. Und das ist dann immer eine plötzliche und unerwartete Stilllegung.

Was wir aus den plötzlichen Ausserbetriebnahmen der AKW Doel, Tihange, San Onofre und Cristal River lernen können:

In den letzten Monaten wurden nicht weniger als vier Atomkraftwerke unerwartet ausser Betrieb genommen, weil technische Defekte entdeckt wurden oder sich ein Zwischenfall ereignete. In Doel und Tihange (Belgien) wurden dank eines neuen Messverfahrens Tausende Risse am Reaktordruckbehälter entdeckt. Die US-amerikanischen AKW Crystal River und San Onofre wurden wegen Alterungsproblemen abgeschaltet: Im ersten wurden plötzlich Risse im Containment entdeckt, im zweiten AKW trat radioaktiver Dampf wegen Abnutzung des Materials aus. Diese unerwarteten Abschaltungen zeigen, was auch in der Schweiz ohne Laufzeitbeschränkung passieren könnte: die Atomkraftwerke werden über ihre theoretische Lebensdauer hinaus betrieben, Alterserscheinungen führen zu gravierenden Zwischenfällen... und niemand ist darauf vorbereitet. Die Betreiber haben mit einer plötzlichen Stilllegung nicht gerechnet: Sie konnten weder ihre Stromproduktion neu ausrichten, noch ihr Unternehmen auf die Stilllegung vorbereiten. Sie verlieren Unsummen, weil sie mit einem abgeschalteten AKW keinen Strom mehr produzieren und Ersatzstrom kaufen müssen. Die Politik kann nicht früh genug Massnahmen ergreifen, um den Ersatz der Produktionskapazitäten durch gute Rahmenbedingungen zu vereinfachen. Und nicht zuletzt erinnern diese Beispiele daran, dass alte Atomkraftwerken ein permanentes Risiko für die Bevölkerung darstellen.


Sicherheit für die Schweizer Bevölkerung

Der heutige Grundsatz des Kernenergiegesetzes "Ein AKW wird weiterbetrieben, solange es sicher ist" tönt vernünftig, ist es aber nicht: Diese Haltung gefährdet die Sicherheit der Schweizer Bevölkerung. Das ENSI überprüft zwar regelmässig die Sicherheit der AKW und verlangt von den Betreibern Nachrüstungen und den Ersatz einzelner Komponenten, die einen sicheren Langzeitbetrieb garantieren sollen. Die Aufsichtsbehörde setzt aber keine zeitliche Limite für den Weiterbetrieb der AKW. Diese Praxis setzt falsche Anreize: Die AKW-Betreiber investieren zwar in Instandhaltungsmassnahmen - die Axpo z. B. will in den kommenden Jahren 700 Millionen Franken für das AKW Beznau aufwenden - wollen aber gleichzeitig die Lebensdauer ihrer Anlage möglichst lange verlängern, um die getätigten Investitionen zu amortisieren und die Rentabilität der Anlage zu erhöhen. Wird die Betriebszeit gestreckt, steigt wiederum das Risiko von Materialversagen und Zwischenfällen, weil die Belastung durch Hitze, Druck und Strahlung anhält.

Zudem sind nicht alle Komponenten ersetzbar: der Reaktordruckbehälter und das Containment, die beiden wichtigsten Komponenten eines AKW, welche eine zentrale Rolle für die Sicherheit spielen, können nicht ersetzt werden. Was für ein altes Auto oder eine Nähmaschine gilt, stimmt auch für diese beiden Komponenten: mit jedem weiteren Betriebstag steigt die Wahrscheinlichkeit von Materialversagen - ein physikalisches Gesetz. Ein Versagen des Druckbehälters hätte verheerende Folgen, weil gegen eine unausweichliche Kernschmelze keine Sicherheitsmassnahmen möglich sind.

Sicherheit für Hans Wanner, ENSIDirektor (stellvertretend für die Aufsichtsbehörde)

Mit Laufzeitbeschränkungen wird die Aufgabe von ENSI-Chef Hans Wanner überblickbarer. Denn für das ENSI ist die heutige Regelung unhaltbar und die Aufsichtsbehörde setzt sich für Stilllegungstermine der fünf bestehenden AKW ein. Der ENSI-Grundsatz lautet: Es gilt insbesondere zu verhindern, dass die Kernkraftwerke 'ausgefahren' werden, bis keine Sicherheitsmargen mehr vorhanden sind. In anderen Worten: Die Zitrone darf nicht so lange ausgepresst werden bis die Schale geritzt ist. Mit klaren Abschaltdaten kann die Aufsichtsbehörde die letzten Lebensjahre der AKW planen und sicherstellen, dass die Betreiber bis zum letzten Tag genügend in ihre Anlage investieren und über die erforderlichen Fachkräfte verfügen.

Sicherheit für Bundesrätin Doris Leuthard (stellvertretend für die Politik)

Ohne Abschaltdaten keine Energiewende. Denn: Doris Leuthard wird die Massnahmen, die für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz vorgesehen sind, nicht umsetzen können, wenn nicht feststeht, wann genau die fünf bestehenden AKW abgeschaltet werden. Ohne konkretes Ausstiegsdatum für die AKW fehlen auch für die geplanten Massnahmen, wie den Ausbau der Erneuerbaren Energien und verstärkte Effizienzvorgaben, das nötigen Terminmanagement und der entsprechende Terminplan. Wenn hingegen klar ist, wann die einzelnen AKW vom Netz gehen und Ersatzkapazitäten vorhanden sein müssen, um die Stromversorgung zu garantieren, wird Doris Leuthard auch im Parlament Rückhalt für ihr Massnahmenpaket finden. Die Politik ist dann gehalten, sich an einem klaren Terminplan auszurichten und einen griffigen rechtlichen Rahmen zu beschliessen. Davon profitieren auch Investoren, Stromunternehmen und Einzelhaushalte: Unternehmer können den Energieumbau im voraus planen, müssen ihre Effizienzbemühungen steigern und erhalten Sicherheit für Investitionen in neue Kraftwerke bzw. neue Beschaffungsverträge. Private können in Solaranlagen auf ihren Dächern investieren und von Energieeffizienz profitieren.

Sicherheit für Heinz Karrer, Axpo-CEO (stellvertretend für die Betreiber)

Wie viel muss ich in Beznau noch investieren? Diese Frage kann Heinz Karrer, CEO der Axpo, nur beantworten, wenn er weiss, wie lange das Atomkraftwerk noch betrieben werden kann. Feste Abschaltdaten erleichtern die Investitionsplanung der AKW-Betreiber. Die endgültige Stilllegung eines AKW ist zudem kein einfaches Unterfangen. Nach dem letzten Betriebstag wird zwar kein Strom mehr produziert, im AKW wird es jedoch noch 15 Jahre lang regen Betrieb geben. Mit den Stilllegungsarbeiten beginnt eine neue Zeit für das AKW, die vom Betreiber sorgfältig geplant werden muss. Zum Beispiel können dank fester Abschaltdaten Fachkräfte, die nach der Stilllegung nicht mehr benötigt werden, früh genug umgeschult und neue rekrutiert werden. Weiter fällt mit der Stilllegung eines AKW eine grosse Produktionskapazität weg. Wie versorgt die Axpo ihre Kunden nach der Abschaltung von Beznau? Eine Neuausrichtung der Unternehmensstrategie braucht Zeit, mit fixen Abschaltterminen kann sie aber vorausschauend angegangen werden.

Sicherheit für Roland Brogli, Finanzdirektor Kt. Aargau (stellvertretend für Kantone und Gemeinden)

Atomkraftwerke gehören in der Schweiz mehrheitlich der öffentlichen Hand und bringen den Kantonen und Gemeinden beträchtliche Steuereinnahmen. Definierte Abschaltdaten kommen dem Finanzdirektor des Kantons Aargau und Regierungsrat eines AKW-Kantons Roland Brogli entgegen. Er weiss, wann die AKW-Einnahmen durch andere Einnahmenquellen ersetzt werden müssen und kann die Investitionsstrategie des Kantons früh genug anpassen. Er weiss, bis wann die AKWStandortregionen auf die Stilllegung vorbereitet sein müssen. Mit dem Übergang von der Betriebs- zur Rückbauphase verlieren die Standortgemeinden grosse Steuereinnahmen. Weil mit der Stilllegung völlig andere Dienstleister und Zulieferer für ein AKW gebraucht werden, müssen sich neue KMU in der Region ansiedeln und die Wirtschaftsstruktur des Standorts verändert sich.

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