Interview Zeitschrift Zeitlupe

| erschienen in Zeitlupe, 9 / 2008

«Frauen arbeiten politisch fundierter als Männer»

Die Politikerin mit dem grünen Parteibuch und den roten Haaren kennt man wegen ihres Engagements für Frauen, Migranten und die Umwelt. Heute leitet die frühere Nationalrätin Cécile Bühlmann eine feministische Friedensorganisation und ist ausserdem die höchste Greenpeace-Frau der Schweiz.

Von Annegret Honegger, Bilder von Gerry Ebner

Wäre die Welt besser, wenn sie von Frauen regiert würde?
Früher hätte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, Ja gesagt. Heute sage ich: Man soll es uns doch einmal beweisen lassen! Frauen sind nicht die besseren Menschen als Männer. Aber ich habe in meinen 14 Jahren im Nationalrat festgestellt, dass sie im Durchschnitt fundierter arbeiten als die Männer. Frauen politisieren näher an der Sache, die Materie interessiert sie mehr als die persönliche Macht. Das liegt an ihrer Erziehung und Biografie, durch die sie oft eine ganzheitlichere Sicht auf die Dinge und einen hellhörigeren Zugang zu Themen haben, die sich nicht mit Zahlen messen lassen.

Wie kamen Sie persönlich in die Politik?
Mich hat es als junge Lehrerin 1970 empört, dass ich zwar arbeiten und Steuern zahlen, nicht aber über die damals aktuelle Schwarzenbach- Initiative abstimmen durfte. Weil ich eine italienische Mutter hatte, die uns viel über ihre Erfahrungen erzählte, wusste ich, wie es Ausländern in der Schweiz ergeht. Ich bin schliess­lich in die Politik eingestiegen, weil mir dort grundlegende Aspekte fehlten wie der Um­gang unserer Gesellschaft mit der Umwelt oder mit Minderheiten - also Themen, die oft als randständig behandelt werden, aber sicher ebenso wichtig sind wie die Finanz­- und die Wirtschaftspolitik.

Veränderungen dauern in der Politik oft lange. Ist das nicht frustrierend?
Natürlich ist es hart, immer wieder Abstimmungen zu verlieren. Meist waren wir mit unseren Ideen wohl einfach der Zeit etwas voraus. In den 1980er­Jahren hat man uns Grüne ausgelacht und uns ein «Körnlipicker-­Image» angehängt - heute beschäftigt das Thema Umwelt die Leute wie nie zuvor. Im Kanton Zürich haben wir gleich viele Nationalratssitze wie der einst so mächtige Freisinn. Auch dass so viele Frauen in der Landes­- und den Kantonsregierungen sitzen und dass faktisch kein Gesetz mehr die Frauen diskriminiert, sind grosse Erfolge. Die bessere Stellung der Frauen ist für mich die nach­haltigste Veränderung der Gesellschaft als Folge von 1968.

Im Nationalrat waren Sie für Ihre mutigen Voten bekannt. Gab es eine Situation, die besonders viel Courage brauchte?
Das war ganz klar meine Rede im Dezember 2003, als Christoph Blocher für den Bundesrat kandidierte. Nach den Gesprächen mit den anderen Fraktionen hatten wir uns eigentlich ausgerechnet, dass ihm die Stimmen nicht reichen würden. So ging ich einigermassen beruhigt zu Bett. Es kam anders... Ich hatte eine sehr deutliche Rede vorbereitet, die erklärte, warum ein Politiker wie Christoph Blocher, warum eine Partei wie die SVP in einer Konkordanzregierung nichts verloren habe. Ein Mensch, der die Schweiz systematisch schlechtredet, eine Partei, die Anders­ denkende verhöhnt, Menschen am Rande der Gesellschaft unter generellen Schmarotzerver­dacht stellt, ist für mich nicht regierungstaug­lich. Ich wusste, dass mir dank meiner klaren Worte der Hass aller Blocher-­Anhänger sicher war. Dagegen anzutreten, brauchte Mut. Aber ich wollte zeigen, dass sich nicht alle von dieser Art Politik einschüchtern lassen. Schön ist, dass ich wenigstens vier Jahre später recht be­kam und Blocher nicht wiedergewählt wurde.

2005 verliessen Sie die Politik und sind heute bei zwei Nichtregierungsorganisationen tätig, beim Christlichen Friedensdienst und bei Greenpeace. Sehen wir Sie bald bei einer spektakulären Anti-Atomkraft-Aktion?
Als Stiftungsratspräsidentin bin ich bei Greenpeace für die Strategie verantwortlich – also dafür, dass wir eine grosse Anti-­AKW-­Kampagne führen wollen. Wie die Aktionen genau aussehen, bestimmen die Aktivistinnen und Aktivisten, das sind zwei verschiedene Jobs. Hingegen werde ich als Staatsbürgerin sicher an jeder Demonstration gegen AKW teilnehmen wie schon damals gegen Kaiseraugst.

Der Kampf gegen neue Atomkraftwerke – ein Déjàvu?
Leider. Aber ich bin zuversichtlich: Die Zeit der Atomkraft ist vorbei, das wird auch die Stromlobby noch merken. Alternative Energien erübrigen bei konsequenter För­derung neue AKW. In Deutschland verzeich­nen die erneuerbaren Energien grossen Zu­ wachs, da man dort den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hat. In der Schweiz fehlt dieser Druck, weil wir energiepolitisch auf allen Hochzeiten tanzen und immer noch auf AKW setzen.


«Die Schweiz macht Geschäfte mit der ganzen Welt. Da schäme ich mich, wenn wir in der Entwicklungshilfe und beim Umweltschutz kaum das Minimum unternehmen.»

 

Im Gegensatz zu Greenpeace ist der Christliche Friedensdienst wenig bekannt.
Wir sind eine feministische Friedensorganisation, die sich in der Schweiz und im Ausland für die Geschlech­tergerechtigkeit und die Förderung von Frauen starkmacht. Mit unseren Projekten tragen wir dazu bei, dass Frauen unabhängig werden und ihr Schicksal in die eigenen Hände neh­men können. So unterstützen wir zum Bei­spiel in Marokko die Ligue Démocratique pour les Droits de la Femme. Die Liga über­ wacht die Einhaltung des neuen, relativ fortschrittlichen Familienrechts im Land und hilft gleichzeitig einzelnen Frauen, die noch nach dem alten Gesetz behandelt werden – also etwa in nicht mehr erlaubter Mehrfach­ehe leben, zu jung verheiratet oder noch nach altem Modell geschieden werden. In der Schweiz haben wir zum Beispiel ein Mentorinnenprojekt, bei dem Berufsfrauen gut aus­gebildeten Migrantinnen den Zugang zur hiesigen Berufswelt eröffnen.

Sie setzen sich für Ausländerinnen und Ausländer ein. Vielen Leuten macht die Öffnung gegenüber fremden Kulturen und Menschen Angst.
Ich verstehe gut, dass unsere Welt mit ihren schnel­len Veränderungen für viele eine Zumutung ist. Dass Menschen aus anderen Ländern auf der Suche nach einem besseren Leben zu uns kommen, ist auch eine Folge der Globalisierung. Oft wird diese Angst vor dem raschen Wandel und vor dem Verlust unserer Privilegien auf die eingewanderten Fremden über­tragen. Perfid finde ich, wenn genau diejenigen Kreise ausländerfeindliche Parolen von sich geben, die auch von der globalisierten Wirtschaft profitieren.

Sie sprechen von der SVP.
Die SVP richtet ihren Missbrauchsvorwurf zuerst an Ausländer und Asylsuchende; doch inzwischen sind andere betroffen, die auf Unterstützung angewiesen sind – sei es, weil sie krank, arbeitsunfähig oder behindert sind. Mich betrübt es, dass gerade Leute aus unterprivilegierten Schichten jene politischen Kräfte wählen, die den Staat immer mehr herunterfahren wollen. Dabei garantiert doch genau der Staat ihnen die Bildung, den öffentlichen Verkehr oder die soziale Sicherheit.

Man redet viel von Integration – was verstehen Sie darunter?
Für mich heisst das: Die Rechtsordnung dieses Landes gilt für alle, die hier leben – ohne Wenn und Aber. Die Leute sollen hier eine Ausbildung und einen Job bekommen. Doch den Menschen vorzuschrei­ben, an welchen Gott sie glauben, welche Feste sie feiern und welche Sprache sie daheim sprechen sollen, finde ich anmassend. Wir sind schliesslich auch stolz, wenn Ausland­schweizer ihre Heimatkultur nicht vergessen.

Sie befürworten die Öffnung der Grenzen...
...ja, aber sie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Deshalb kämpfen wir Linken im Zuge der Öffnung zur Europäischen Union so vehement für flankierende Massnahmen. Die Politik kann nicht einfach der Wirtschaft billige Arbeitskräfte zur Verfügung stellen und sich dann um die Folgen für die Gesellschaft foutieren. Beruflich habe ich jahrelang mit Ausländerinnen und Ausländern gearbeitet. Mich faszinieren fremde Kulturen und Sprachen. Aber ich weiss auch aus Erfahrung, dass «Multikulti» nicht nur schön und harmonisch ist. Dass dies harte Auseinandersetzungen bringt und braucht.

Manche belächeln Sie als naive Idealistin, als sogenannten Gutmenschen.
Es braucht Menschen, die sich genau für diese Anliegen starkma­chen. Eine Politik, die nicht weiter als bis zur Landesgrenze und bis zum eigenen Profit denkt, führt uns doch in die Sackgasse! Armut ist nicht Schicksal, sondern eine Folge von Ungerechtigkeit. Die Schweiz ist das reichste Land der Erde und macht Geschäfte mit der ganzen Welt. Da schäme ich mich, wenn wir in der Entwicklungshilfe und beim Umwelt­schutz kaum das Minimum unternehmen. Damit sägen wir am Ast, auf dem wir selber sitzen. Das ist für mich naiv!

Verhalten Sie sich auch manchmal politisch unkorrekt?
Ich verhalte mich nicht immer bis zum Letzten konsequent grün. Alle paar Jahre leiste auch ich mir einen Flug nur zum Vergnügen – aber mehr nicht. Wo immer mög­lich, reise ich mit Velo, Zug oder Schiff. Würden sich mehr Leute so bewegen, hätten wir sicher keine Verkehrsprobleme.

Man hört und liest viel von Ihren Anliegen, weiss aber wenig Persönliches über Sie.
Das habe ich ganz bewusst so gehalten. Ich wollte als Poli­tikerin bekannt sein. Wie ich hingegen meine Wohnung einrichte, ist doch nicht von allgemeinem Interesse. Mit der Zeit habe ich ge­lernt, dass die Medien diese Grenzen durchaus respektieren und ich deswegen nicht weniger Gehör fand.

Mit Ihrer auffälligen Garderobe zeigen Sie aber durchaus etwas von sich selbst.
Ich war schon immer etwas farbiger als andere, lege Wert auf einen eigenständigen Stil. Meine bunte Kleidung und meine roten Haare wurden mit wachsender Bekanntheit fast zu einem Markenzeichen. Mit Politik hat das aber nichts zu tun - obwohl meine politischen Gegner mich meiner roten Haare wegen oft als «rote Hexe» beschimpften.

Sie leben im Konkubinat, haben keine Kinder – ist das eine persönliche Revolte gegen traditionelle Frauenrollen?
Damals in der neuen Frauen­bewegung war die Gründung einer Kleinfami­lie natürlich verpönt. Mein Entscheid gegen dieses bürgerliche Familienmodell war durchaus politisch, weil ich berufstätig bleiben und nie von einem Ehemann abhängig sein wollte. Zehn Jahre später hätte ich vielleicht versucht, Familie und Beruf zu vereinbaren. Doch zu meiner Zeit war es dafür noch zu früh, es gab keine Einrichtungen wie Krippen, die heute vielerorts selbstverständlich sind.

Bedauern Sie das heute?
Nein, ich habe ein gutes Leben.

Was tun Sie, wenn Sie gerade nicht arbeiten?
Nach 14 Jahren in der Politik ohne geregelten Tagesablauf geniesse ich es jetzt, meistens freie Wochenenden zu haben. Endlich kann ich Leute treffen, weil ich sie mag, und nicht, weil es politisch etwas einzufädeln gibt. Noch nie hatte ich so viel Zeit für Sport, für Velotouren oder Schneeschuhwanderungen, zum Lesen oder um ins Kino und Theater zu gehen wie heute. Im «Velogrüppli», mit dem wir regel­ mässig Veloferien machen, stellen wir fest, dass wir noch nie so grosse Touren gemacht haben wie jetzt.

Haben Sie das Kürzertreten bewusst aufs Älterwerden hin geplant?
Solange ich noch so gut mag, beschäftige ich mich eigentlich gar nicht mit dem Älterwerden. Es gehört zu mir, dass mein Leben in ständiger Bewegung ist. Deshalb denke ich, dass ich auch nach der Pensionierung viele spannende und sicher auch freiwillige Engagements haben werde. Sorgen macht mir höchstens die Zeit als Hochbetagte, wenn ich einmal von morgens bis abends Hilfe brauchen sollte. Als ein politisch denkender Mensch frage ich mich natürlich, ob wir dannzumal noch Geld und Infrastruktur für die Älteren haben und ob man noch eine Gesellschaft will, die gut zu den Betagten schaut.

Blicken Sie trotz solcher Bedenken optimistisch in die Zukunft?
Die nackten Fakten geben leider wenig Grund zum Optimismus. Es gibt viele kriegerische Auseinandersetzungen. Immer mehr Länder, die sich bisher selber ernährt haben, können dies heute nicht mehr. Es kommt im 21. Jahrhundert wieder zu Hungerrevolten! Und beim Umweltschutz tun wir immer noch so, als hätten wir mehr als bloss diese eine Erde und noch alle Zeit der Welt, das Klima in den Griff zu bekommen. Andererseits lernt die Menschheit vielleicht plötzlich sehr schnell, wenn es wirklich ums Überleben geht. Joschka Fischer, der frühere grüne Aussenminister Deutschlands, sagte kürzlich, dass die USA möglicherweise vom grössten Umweltsünder zum innovativsten Entwickler von Alternativen werden könnten, wenn die Erdölpreise weiter so steigen. Eine interessante Perspektive!

Kann man denn als einzelner Mensch überhaupt einen persönlichen Beitrag leisten, oder lassen sich die Probleme dieser Welt heute sowieso nur noch in einem globalen Rahmen lösen?
Es braucht natürlich beides. Leute, die sehr ökologisch leben und sich trotzdem nicht für Politik interessieren, verstehe ich nicht - schliesslich sind wir alle Tag für Tag davon betroffen. Ge­nauso wenig geht es, nur grosse Parolen zu schwingen und persönlich nichts zu tun. Wir sind genauso ein Teil einer Gesellschaft, wie wir Individuen sind.


1949 geboren und aufgewachsen in Sempach LU, unterrichtete Cécile Bühlmann als Lehrerin in einer Auffangklasse für Migrantenkinder. Später arbeitete sie als Beraterin für ausländische Eltern in Schulfragen, als Beauftragte für interkulturelle Erziehung beim Luzerner Erziehungsdepartement und als Dozentin für interkulturelle Pädagogik und Migration. 1991 bis 2005 politisierte sie im Nationalrat, wo sie die Grüne Fraktion präsidierte. 1997 erhielt Cécile Bühlmann für ihr Engagement gegen die Diskriminierung von Minderheiten den Fischhoffpreis. Bis 2007 war sie Vizepräsidentin der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Heute leitet sie den Christlichen Friedensdienst cfd und ist Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz. Cécile Bühlmann wohnt mit ihrem Lebenspartner in Luzern.


Zurück