Laudatio für Nicola Neider Amman
| Rede gehalten anlässlich der Fischhofpreis-Verleihung 2024
Laudatio für Nicola Neider Amman Fischhof-Preisverleihung 2024
Cécile Bühlmann
Wenn ich die Preisträgerin Nicola Neider-Amman beschreiben müsste, würde ich es mit Stichworten tun wie wach und unerschrocken, gradlinig und verbindlich, anpackend und beharrlich. Diese Eigenschaften sind mir an ihr aufgefallen, seit ich sie im Beirat der Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers Luzern kennengelernt habe. Diese Beratungsstelle ist wesentlich auf den beharrlichen Einsatz von Nicola Neider zurückzuführen, ich wage sogar zu behaupten, ohne sie gäbe es sie nicht. Auf der Webseite lesen wir: «Die Sans-Papiers Beratungsstelle Luzern berät und informiert Menschen, die in der Schweiz leben, ohne eine Aufenthaltsbewilligung zu besitzen. Zudem leistet sie Sensibilisierungs- und Informationsarbeit in der Zentralschweiz“.
Was so nüchtern und unaufgeregt daherkommt, birgt aber ganz viel Zündstoff! Was gibt es denn da zu beraten! Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung gehören doch nicht hierher! Wir haben sie nicht gerufen, die sollen gefälligst und sofort dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen sind! So tönt es in immer grösseren Teilen der Bevölkerung und solche Stimmen werden immer lauter, nicht nur in der konservativen Innerschweiz. Und in diesem gesellschaftspolitischen Klima ist es unserer Preisträgerin gelungen, genügend Personen zum Mitmachen zu motivieren und genügend finanzielle Mittel zu finden, um eine solche Anlaufstelle zu schaffen. Das ist eine grosse Leistung! Die Anlaufstelle ist inzwischen breit abgestützt und anerkannt und konnte in den letzten 10 Jahren kontinuierlich ausgebaut werden.
Es zeichnet Nicola Neider aus, dass sie sich auch vor den schwierigsten Problemen nicht weg duckt, sondern nach Lösungen sucht und handelt! Als sie an ihrer aktuellen Arbeitsstelle als Leiterin Fachbereich Migration & Integration der Katholischen Kirche der Stadt Luzern immer wieder verzweifelte Leute in ihrem Büro hatte, die in Not waren, weil sie ohne Papiere hier lebten, konnte sie diese Menschen einfach nicht mit billigen Argumenten abwimmeln, sondern musste handeln. Sie wollte den kleinen Spielraum ausloten und herausfinden, wieviel Schutz die Schweizer Gesetze auch Menschen ohne geregelten Aufenthalt doch noch gewähren. So begann die Geschichte der Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers in Luzern, deren Präsidentin sie bis heute ist.
Es ist bezeichnend, dass Nicola Neider sich um die Menschen kümmert, die absolut kein Prestige haben und auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Leiter stehen. Deutlich wurde dies auch, als sie einer Mutter mit Kind für über ein Jahr Kirchenasyl gewährte und damit in Konfrontation zu den staatlichen Behörden ging. Warum tut Nicola Neider das? Das hat mit ihrem Menschenbild von der Gleichwertigkeit aller Menschen und ihrer Sozialisation als Theologin in Ländern des Südens zu tun. Dort ist sie mit der Befreiungstheologie, der Kirche der Armen, der Kirche von unten, in Kontakt gekommen und das hat sie tief geprägt. Sie, die aus wohlbehüteten Verhältnissen im damaligen Westberlin stammt, ist nach dem Theologiestudium und den Jahren in linken Milieus, WGs und an Friedensdemos in Münster aufgebrochen, um in Chile und auf den Philippinen ihr Leben mit den Ärmsten zu teilen. Diese Art Kirche ist für sie bis heute Referenz. Für sie ist es wichtig, dies nie alleine zu machen, sondern sich Bündnispartner:innen weit über die Grenzen der Kirche hinaus zu suchen.
Als sie als Jugendliche erfuhr, dass sie väterlicherseits jüdische Vorfahren hatte, die fast alle im Holocaust ums Leben gekommen sind, begann sie sich auch mit dem Judentum gründlicher auseinanderzusetzen. Gerne hätte sie dazu ihre jüdischen Verwandten befragt, aber der jüdische Zweig ihrer Familie war ja abgebrochen, in der schlimmsten Epoche der europäischen Geschichte vernichtet worden. In dieser biografischen Erfahrung wurzelt nicht nur ihr Interesse am Judentum, sondern insgesamt am interreligiösen Dialog.
Zum Schluss möchte ich den berühmten Satz von John F. Kennedy zitieren, der wunderbar als Motto zu Nicola Neiders Leben passt: „Manche Menschen sehen Dinge, wie sie sind und sagen: Warum? Ich träume von Dingen, die es nie gab und sage: Warum nicht?“
Als beharrliche Kämpferin für die Rechte der Schwächsten in der Gesellschaft sagt sie nie: „Das geht doch nicht, sondern: wie machen wir das?“ Als Anerkennung für dieses unermüdliche Engagement und den Mut, unbequem zu sein und sich auszusetzen, erhält Nicola Neider Ammann heute den Fischhof-Preis.