Landesverrat?

| Leserbrief in der Neuen Zürcher Zeitung

Politikerinnen protestieren gegen sprachliche Verrohung

Der Parteipräsident der SVP bezichtigte an der letzten Delegiertenversammlung seiner Partei den Bundesrat des «Landesverrats» und bezeichnete dessen Mitglieder als «Landesverräter» (NZZ 30. 8. 13). Er führte aus, dass diese «Landesverräter» gegen die Interessen der Schweiz handelten und dass man sie nicht machen lassen dürfe. Der Bundespräsident sagte zur völlig inakzeptablen Wortwahl seines Parteipräsidenten, die Regierung dürfe kritisiert werden, und die Rhetorik sei Sache der Parteien. Wir finden: So nicht. Mit der Sprache drücken wir unsere Überlegungen, unsere Gefühle, unsern Respekt oder unsere Verachtung aus. Wir lehren unsere Kinder, dass es verschiedene sprachliche Ebenen gibt: eine im Umgang mit Gleichaltrigen und eine etwas bereinigte für den Umgang mit Erwachsenen. Auch in der politischen Diskussion gibt es einen Sprachcode und Ausdrücke, die man unter keinen Umständen Andersdenkenden an den Kopf wirft. Dazu gehört die Anschuldigung «Landesverräter».

Auf Landesverrat stand bis 1992 unter dem Militärstrafgesetz die Todesstrafe, die letzte Hinrichtung unter Militärrecht fand in der Schweiz 1944 statt. Landesverrat ist das schändlichste Vergehen, das gegen das eigene Land gerichtet werden kann. Und nun wird ungestraft und unwidersprochen, ohne Krieg und ohne Not, mit Absicht und Kenntnis der Wirkung in ein und derselben Rede und quasi im selben Atemzug dieser Ausdruck für unsere Landesregierung gleich zweimal gebraucht. Es ist dies eine Grenzüberschreitung, die wir nicht schweigend hinnehmen. «Indignezvous, empört Euch», riet uns der greise Widerstandskämpfer Stéphane Hessel. Das tun wir. Wir wehren uns gegen diese sprachliche Verrohung, und wir rufen alle diejenigen, denen es auch wichtig ist, dass wir auf der politischen Bühne unseren demokratischen Institutionen gegenüber Anstand und Respekt wahren und mit der Sprache sorgfältig umgehen, auf, sich auch zu wehren.

Cécile Bühlmann, Ursula Haller, Joy Matter, Judith Stamm, Monika Weber, Rosmarie Zapfl

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