Rassismus und Schule

| geschrieben für das Internationale Menschenrechtsforum Luzern

Kompetenz durch antirassistische Erziehung

Schule und Rassismus, das passt doch irgendwie nicht zusammen! Diese spontane Reaktion ist sehr verständlich. Man möchte sich mit der unbequemen Tatsache, dass das hässliche Phänomen Rassismus auch in der Schule vorkommen könnte, lieber nicht auseinandersetzen müssen. Mit dem Bild von Kindern verbinden wir lieber etwas Positives, etwas Unschuldiges, als das Negative, das Destruktive, das vom Rassismus ausgeht. Und doch lohnt sich ein genaues Hinschauen. Denn die Schule ja bekanntlich keine Insel der Glückseligen sondern Teil der Gesellschaft ist. Kinder und Jugendliche sind vielfältigen Einflüssen und Beeinflussungen ausgesetzt, sie konsumieren Medien, sehen politische Propaganda, surfen im Internet, diskutieren mit anderen Jugendlichen und Erwachsenen. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit rassistischem Gedankengut in Berührung kommen, recht hoch. Einige sprechen darauf an. Das kann dann in der Schule in zum Ausdruck kommen, wie die folgenden Beispiele illustrieren:

Plötzlich trägt ein Schüler sehr kurze Haare, Springerstiefel und eine Bomberjacke mit ein paar Abzeichen darauf. Auf die Frage der Lehrerin, was die Abzeichen bedeuten, weicht der Angesprochene aus. Es seien patriotische Zeichen. Dann fügt er bei, es sei übrigens nicht wahr, dass Hitler nur schlechte Seiten gehabt habe. Er wolle in der Schule mehr erfahren über den Zweiten Weltkrieg. Aber die Wahrheit und nicht nur das, was in den Geschichtsbüchern stehe. Oder ein anderer Schüler sagt, er sei kein Rassist, habe nichts gegen Neger, aber sie sollen dorthin zurückkehren, wo sie hingehörten, denn die kulturelle Vermischung sei nicht gut, weder für sie noch für uns. Zudem sei die weisse Rasse den Schwarzen einfach überlegen, das sehe man schon daran, wie es uns im Vergleich zu Afrika gut gehe.

Und schon sind Lehrpersonen mitten drin und können sich einer Auseinandersetzung nicht mehr entziehen. Denn Rassismus und Rechtsextremismus tangieren einen zentralen Grundwert unseres Bildungssystems, geht dieses doch von einem Menschenbild der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen aus.

So wird zum Beispiel in der Erklärung der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) zu Rassismus und Schule postuliert:
«Die Schule hat zur Achtung vor den Mitmenschen, zur Toleranz unter religiösen und anderen Gruppen und zum Frieden unter den Völkern zu erziehen. Unterricht und Erziehung in der Schule wirken darauf hin, dass offene und versteckte Formen von Rassismus bewusst gemacht und bekämpft werden und dass die Begegnung mit fremden Menschen offen und angstfrei verlaufen kann.»

Und im Artikel 2 der Internationalen Kinderrechtskonvention, welche die Schweiz auch unterzeichnet hat, findet sich der folgende Passus:
«Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.»

Nicht nur für das Bildungswesen gilt dieses Menschenbild, sondern alle demokratischen Rechtsstaaten gehen heute vom Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen aus. Das ist eine der ganz grossen Errungenschaften der Zivilisation, die sich in der Idee der Menschenrechtsdeklaration und in den Verfassungen vieler Staaten niederschlägt, auch in unserer Bundesverfassung. So heisst es im Artikel 8 zur Rechtsgleichheit folgendes:
«Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.»

Rassistische Diskriminierungen jeder Art verletzen dieses Grundrecht auf Nichtdiskriminierung. Deshalb darf die Bekämpfung des Rassismus nicht als Hobby irgendwelcher «Gutmenschen» abgetan werden, sondern ist eine wichtige Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates und des Bildungswesens.

In der Alltagspraxis gibt es verschiedene Stufen des Rassismus, von subtilsten Formen der Ausgrenzung, der Geringschätzung über verbale Attacken und Witze, durch Verspottung bis hin zur politische Verhetzung und zu physischer Gewalt. Solche Phänomene kommen in Schulzimmern und auf Pausenplätzen ebenfalls vor und es muss das Ziel sein, dass die Schule den Lernenden einen rassismusfreien Raum garantiert. Wenn diese Regel verletzt wird, muss nach dem Motto «Hinschauen statt wegschauen!» eine Reaktion erfolgen. Rassistische Vorkommnisse dürfen niemals ungeahndet und folgenlos stehen gelassen werden.

Es stellt sich also nicht die Frage, ob die Schule etwas gegen Rassismus unternehmen soll, sondern wie sie sie es am besten tut. Sie kann sich auf verschiedenen Stufen, mit vielfältigen Mitteln und auf verschiedenen Wegen gegen Rassismus engagieren. Forschungsergebnisse belegen, dass die Vermittlung von Wissen zwar eine wichtige Basis bildet, dass aber Kenntnisse allein Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nicht zu beseitigen vermögen. Vorgelebte Gewaltlosigkeit und Rücksichtnahme, gerade gegenüber schwächeren SchülerInnen, noch so gering erscheinende Ansätze praktizierter Demokratie und gegenseitiger Achtung, mutige und konsequente Solidarität mit Opfern von Ausgrenzung, Diffamierung und Diskriminierung sind unersetzliche Erfahrungen. Nebst dem Schutz der Opfer und der Wissensvermittlung ist auch die Haltung der Institution Schule wichtig. Es braucht eine institutionelle Stellungnahme in Form eines Leitbildes oder einer Charta, die klare Aussagen zu Rassismus macht.

Damit ist keine einfache Aufgabe gestellt, aber eine, für die zu engagieren es sich lohnt. Mit der antirassistischen Erziehung bieten wir den Kindern und Jugendlichen eine Alternative zum destruktiven und letztlich menschenfeindlichen Weltbild des Rassismus und wir geben ihnen eine Kompetenz mit, die sie für ein friedliches Zusammenleben mit Menschen verschiedenster Herkunft und kultureller Prägung gut vorbereitet.

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