Rassismus ist eine Form von Gewalt

| Fachtagung Gewalt und Rassismus, HSA Luzern

Es gibt historische und aktuelle Formen des Rassismus: der Antisemitismus, der Rassismus gegen Schwarze, der Antiislamismus, die Diskriminierung auf Grund der kulturellen Zugehörigkeit. Es gibt den strafrechtlich relevanten Rassismus und es gibt den, der vom Strafrecht nicht erfasst ist, der mit Präventionsarbeit und Aufklärung angegangen werden soll. Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede im rassistischen Verhalten, es gibt soziologische Erklärungen für rassistische Tendenzen und es gibt politische Profiteure des Rassismusdiskurses und es gibt Möglichkeiten, gegen Rassismus etwas zu tun. Alle diese Aspekte bilden den Inhalt des Referates.

Was ist überhaupt Rassismus?

Machen wir doch gleich eine ganz praktische Probe aufs Exempel: Hand aufs Herz! Haben Sie sich auch schon dabei ertappt, dass es Sie besonders genervt hat, wenn Ihnen ein offensichtlich als Fremder wahrnehmbarer Mann den letzten freien Platz im Bus weggeschnappt hat, oder dass sie sich besonders darüber geärgert haben, wenn aus dem Auto eines Ausländers auffallend laute Musik herausgedröhnt hat, oder wenn im Bus jugendliche Ausländer sich sehr laut gebärdet haben? Oder, liebe Frauen, haben Sie auch schon instinktiv die Handtasche fester an sich gerückt, wenn in der Schlange an der Kasse hinter Ihnen ein fremd aussehender Mann gestanden hat. Oder haben Sie sich auch schon besonders geängstigt, wenn Sie nachts allein unterwegs einem dunkelhäutigen Mann begegnet sind?

Ich gehe davon aus, dass Sie, wie ich auch, die meisten dieser Fragen mit ja beantwortet haben. Nun haben Sie sich sicher die Frage gestellt, ob das rassistisch sei. Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir die Frage genauer klären, was Rassismus ist.

Definition von Rassismus

Das ist gar kein einfaches Unterfangen. Das kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, denn als Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus werde ich häufig, auch von Medienschaffenden, mit der Frage konfrontiert: ist es nicht rassistisch, wenn... Und dann werden all jene Vorfälle erzählt, die Sie sicher auch alle kennen, vom antisemitischen Basler Schnitzelbankvers bis zum hetzerischen Communiqué des Bieler Stadtrates Scherer im Nachgang der Angriffe jugendlicher Ausländer auf Schweizer Rekruten. Und meistens ist damit die Frage verbunden, was denn die Kommission dagegen zu tun gedenke.

Da muss man unterscheiden zwischen strafrechtlich relevantem Rassismus, der im Strafgesetzbuch im Paragraphen 261bis geregelt ist und wie beim Eisberg nur den augenfälligsten Teil des Rassismus betrifft.

Strafgesetzbuch 261 bis «Rassendiskriminierung»

  1. Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft,
    wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind,
    wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt,
    wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,
    wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert,
    wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.
  2. In leichten Fällen erfolgt disziplinarische Bestrafung.

    Und für diesen Rassismus ist die Justiz und nicht die EKR zuständig, weil die Verletzung der Antirassismus-Strafnorm ein Offizialdelikt ist und von Amtes wegen geahndet werden muss.

    Der andere, der nicht strafbare Rassismus, das was unter der Oberfläche ist, macht, wie beim Eisberg, den weit grösseren Teil des Phänomens aus und da setzt unsere Kommission ein, mit Präventions- und öffentlichkeitsarbeit auf allen möglichen Feldern wie z.B. nächstens mit einer kritischen Stellungnahme zum geplanten Dualen Zulassungssystem der Schweizer Ausländerpolitik oder mit dem Aufbau einer Infrastruktur zur Hilfe für die Opfer von Rassismus, um nur zwei konkrete Beispiele zu nennen. Die ganze Palette unserer Tätigkeit finden Sie jeweils im «Tangram», unserem zweimal jährlich erscheinenden Bulletin mit einem Themenschwerpunkt oder auf unserer Homepage www.ekr.admin.ch.

    Ich mache nun aber trotzdem den Versuch einer Definition von Rassismus:
    Rassismus ist eine Ideologie, eine Weltanschauung, eine Haltung, die ein Menschenbild der Ungleichwertigkeit vertritt. Diese Ideologie sagt, dass es bessere und minderwertigere Menschen gibt, dass es eine Hierarchie der Qualität von Menschen gibt und dass diese Qualität im Blute liegt, also biologisch oder genetisch bedingt und deshalb unveränderbar ist. Diese Ideologie sagt weiter, dass die eigene Gruppe höher im Wert ist als die anderen, die Dunkelhäutigen, die Andersgläubigen, und dass es legitim ist, diese minderwertigen Anderen schlecht zu behandeln.

    Opfer von Rassismus können Einheimische wie Ausländer sein, sie müssen von der Mehrheitsgruppe nur als anders wahrgenommen werden: fahrende, farbige, jüdische SchweizerInnen. können genau so Opfer sein wie Eingewanderte.

    Niemand von uns, die wir in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind, ist frei von solchen Prägungen. Die Frage ist allerdings, wie wir damit vor allem in Konfliktsituationen und unter Druck und Stress umgehen. Sind wir uns der Gefährlichkeit und Destruktivität solcher Denkmuster bewusst, und reflektieren wir unser Verhalten oder lassen wir unseren Gefühlen ungefiltert freien Lauf.

Historische Formen des Rassismus

Die zwei klassischen historischen Rassismen sind einerseits der Antisemitismus, herausgewachsen aus der ursprünglich religiös begründeten Judenfeindlichkeit und der Rassismus gegen Schwarze und Farbige, verbunden mit der Kolonisierungsgeschichte Europas. Deshalb wird Rassismus aus der Sicht der so genannten Dritten Welt als Phänomen wahrgenommen, welches vom weissen Europa aus die Welt überzogen hat und bis heute Ursache für die Ungerechtigkeit zwischen Norden und Süden ist. An der Weltkonferenz gegen Rassismus, welche 2001 in Durban stattfand, war denn auch für die schwarzen KonferenzteilnehmerInnen vor allem die Frage der Wiedergutmachung für das rassistisch motivierte Unrecht, das ihnen durch Kolonialismus und Sklaverei angetan worden war, ein wichtiges Thema. Sie forderten als Wiedergutmachung von den Ländern des Nordens einen Schuldenerlass und mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, ist es doch immer noch so, dass die Ausbeutung des Südens durch unfaire Preise ein x-faches von dem ausmacht, was als Entwicklungsgelder vom Norden in den Süden fliesst.

Herausgeber der Dokumente mit den Ergebnissen der Weltkonferenz ist die Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes: ara@gs-edi.admin.ch, bestellt können sie werden bei der www.bbl.admin.ch (Artikel Nr. 301.351.d.01.03 6000).

Der moderne Rassismus

Es gibt nebst den historischen auch moderne Formen des Rassismus. Heute muss eher die Kultur herhalten als Argument des Andersseins und des Minderwertigseins. An Stelle des Begriffs der Rasse ist der der Kultur oder der Ethnie getreten. Und noch etwas ist dazugekommen: nebst dem Feindbild des Juden ist jenes der Muslime aktuell geworden. Das Bild vom Zusammenprall der Kulturen, dem «clash of civilications», widerspiegelt diese Haltung: da stehen sich zwei Kulturen wie erratische Blöcke, die die Menschen unentrinnbar determinieren, aus denen sie nie ausbrechen, sich nie davon emanzipieren können, hermetisch abgeschlossen und feindselig gegenüber und eine gewalttätige Auseinandersetzung ist unvermeidbar, quasi unentrinnbares Schicksal. Wir leben seit dem 11. September und mit dem Irakkrieg mitten in der Hochkonjunktur solchen Denkens. Dass dieses Denken in eine Sackgasse führt und dass mit Bomben und Granaten der Graben zwischen der westlichen und der islamischen Welt nur vertieft werden wird, bestätigt jeder weitere Kriegstag.

Rassismus ist Gewalt

Der Rassismus ist also ein Menschenbild der Ungleichwertigkeit. Im rassistischen Weltbild gibt es die «Guten» – das ist die eigene Gruppe – und die «Anderen», die minderwertig sind. In der Alltagspraxis gibt es verschiedene Stufen des Rassismus, von subtilsten Formen der Ausgrenzung, der Geringschätzung über verbale Attacken in Witzen, durch Verspottung und politische Verhetzung bis hin zu physischer Gewalt mit dem Ziel der Vernichtung des vermeintlich minderwertigen Anderen.

Aber immer handelt es sich dabei um eine Form der Gewalt, die in einer demokratischen Gesellschaft nicht unwidersprochen bleiben darf. Demokratische Rechtsstaaten gehen vom Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen aus. Das ist eine der ganz grossen Errungenschaften der Zivilisation, die sich in der Idee der Menschenrechtsdeklaration und in den Verfassungen vieler Staaten niederschlägt, auch in unserer Bundesverfassung.

Art. 8 Rechtsgleichheit Bundesverfassung

  1. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
  2. Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.

Rassistische Diskriminierungen jeder Art verletzen dieses Grundrecht auf Nichtdiskriminierung. Deshalb ist die Bekämpfung des Rassismus nicht als Hobby irgendwelcher «Gutmenschen» zu sehen, sondern als wichtige Aufgabe eines demokratischen Rechtsstaates. Aber der Staat allein schafft das nicht, es braucht das Engagement aller an einem demokratischen Rechtssaat Interessierter, deshalb ist es gut und wichtig, dass sich auch diese Institution, die HSA damit auseinandersetzt und damit beweist, dass sie auch heisse Themen nicht scheut.

Ins Auge fällt die Ideologie der Ungleichwertigkeit dann besonders, wenn sie gepaart ist mit der Akzeptanz von Gewalt. Dieser gewalttätige Rassismus äussert sich dadurch, dass Leute angepöbelt, angegriffen, zusammengeschlagen oder eben gar umgebracht werden, weil sie die falsche Herkunft, Hautfarbe oder Religion haben. Gewalttätiger Rassismus, darüber besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, wird abgelehnt. Er wird der rechtsextremen Szene zugeordnet, diese ist ausserhalb des tolerierten Spektrums der Demokratie. Der Rassismus ist eine Konstante rechtsextremer Weltbilder, genau so wie der Sexismus.

Rassismus und Geschlecht

Gibt es relevante Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf Rassismus?
Das Abstimmungsverhalten von Frauen lässt diesen Schluss zu: Bei der Abstimmung über die Antirassismusstrafnorm im Jahre 1994 betrug der Unterschied zwischen Männern und Frauen sagenhafte 17%, das war fast der grösste je festgestellte Unterschied in der 30-jährigen Geschichte des Frauenstimmrechtes. Die Frauen verhalfen damit der Strafnorm zum Durchbruch, die Männer allein hätten sie mit nur 47% Ja-Stimmen abgelehnt, die 64% der Frauen waren entscheidend. Im Vorfeld der 18%-Initiative prophezeiten einige Medien, dass diesmal nun alles ganz anders würde, dass die Frauen der fremdenfeindlichen Initiative eher zustimmen würden als die Männer und sie lieferten auch gleich die Erklärung: die Frauen hätten es satt, ständig von ausländischen Machomännern angemacht zu werden. Es kam dann doch ganz anders, der Geschlechterunterschied betrug immer noch stattliche 12%, während 41% der Männer der 18%-Initiative zustimmten, waren es bei den Frauen nur 29%. Sind also Frauen vor Rassismus irgendwie besser gefeit als Männer, also doch das bessere Geschlecht?

So einfach ist die Geschichte nicht. Dieser erste oberflächliche Eindruck greift zu kurz. Werfen wir doch kurz einen Blick in die Forschung, um zu erfahren, wie es sich mit der Frage Geschlecht und Rassismus genau verhält. Die folgenden Angaben stammen aus dem Bulletin der EKR, dem Tangram Nr. 10 «Rassismus und Geschlecht».

Rassismus ist, wie gesagt, eine auffällige, wenn nicht die auffälligste Konstante rechtsextremer Weltbilder. Deshalb zitiere ich im folgenden Forschungsergebnisse, welche Jugendforscher über den Zusammenhang zwischen Geschlecht und rechtsextremer Orientierung ermittelt haben.

  • Ein Verhältnis von 8:2 von Jungen und Mädchen für rechtsextreme Tendenzen ergibt sich nach einer Untersuchung von 4000 Jugendlichen in Deutschland.
  • In allen Untersuchungen über rechtsextremistische Jugendgewalt sind es die 14- bis 25-jährigen männlichen Jugendlichen, die dominieren.
  • Männliche Lehrlinge sind in den neuen Bundesländern die soziale Problemgruppe Nr.1, nicht nur in Bezug auf Gewaltbereitschaft, sondern auch auf rechtsextreme Orientierungen.
  • Die männliche Dominanz in der extremen Rechten wirkt auf junge Männer eher stabilisierend.

Für junge Frauen gilt:

  • Mädchen sind durchgängig weniger fremdenfeindlich eingestellt als Jungen, urteilen kritischer und sind deutlich distanzierter gegenüber gewaltförmigen Positionen.
  • Zudem sind sie weniger antisemitisch eingestellt, lehnen Gewalt gegen Menschen eher ab und sind wenig nationalistisch.
  • Mädchen in der Stadt, die ein Gymnasium besuchen, machen diejenige Gruppe unter den untersuchten Jugendlichen aus, die am wenigsten zu rechtsextremen Einstellungen neigen.
  • Das rechtsextreme Wählerpotential besteht nur zu einem Drittel aus Frauen; je extremer die Partei, um so weniger Frauen, lässt sich grundsätzlich festhalten.

Zu diesen Ergebnissen müssen einige relativierende Anmerkungen gemacht werden: die untersuchten Befunde konzentrieren sich in erster Linie auf öffentlich-aggressives Verhalten, womit hauptsächlich junge Männer in den wissenschaftlichen Blickwinkel geraten sind. Die entsprechenden weiblichen Verhaltensmuster, die sich im privaten Bereich manifestieren, werden dabei nicht wahrgenommen. Mädchen sind zwar in Skinheadgruppen wenig präsent und wenn, dann meist in der klassischen Rolle als Mitläuferin und nicht als Leaderin. Mädchen äussern aber laut anderen Untersuchungen eher subtile als offene Vorurteile gegenüber ethnischen Minderheiten. Zudem gibt es durchaus in der rechten Szene zunehmend auch Frauen, die sich emanzipieren gegenüber ihren Männern, man spricht dabei von rechtem Feminismus. Die Akzeptanz von Gewalt ist insgesamt bei jungen Frauen im Steigen begriffen, so zeigt eine Untersuchung aus dem Jahr 1994, dass jedes fünfte Mädchen körperliche Gewalt gegen andere Personen nicht ablehnt. Sie wenden sie zwar selber nicht an, aber delegieren sie an Männer.

Aber insgesamt bleiben grosse Unterschiede zwischen Männern und Frauen und zwar weniger in den Einstellungen, es gibt keine allzu grossen Unterschiede im Ausmass rechter Einstellungen zwischen Frauen und Männern, im Handeln sind aber grosse Unterschiede feststellbar und die lassen sich mit der weiblichen und männlichen Sozialisation erklären. So sind Frauen ausgrenzend und diskriminierend in den Feldern, in denen sie sich sicher fühlen, da wo sie «ihr» Terrain glauben verteidigen zu müssen, nämlich im Alltag mit seinen Normen und Werten. So pochen laut solchen Untersuchungen Frauen stark auf Recht und Ordnung bei Fragen der alltäglichen Anpassung. Nur wer sich unauffällig und reibungslos verhält, soll teilhaben an der Gesellschaft.

Auch wenn es um Chancengleichheit in der Schule geht, sind es häufig Frauen, die glauben, dass ihre Kinder wegen den Migrantenkindern in der Klasse zu kurz kommen und durchaus für Ideen der Trennung Sympathie hegen, obwohl neueste Untersuchungen der Universität Freiburg belegen, dass die Chancen der einheimischen Kinder durch die Anwesenheit der Migrantenkinder nicht geschmälert werden und es sind nicht nur Lehrer, sondern auch Lehrerinnen, die Migrantenkinder in ihren Leistungen unter deren Wert einschätzen und bei auftauchenden Schwierigkeiten rasch bereit sind, Migrantenkinder in Kleinklassen einzuweisen. Der alarmierende Trend der überdurchschnittlich häufigen Einweisungen von ausländischen Kindern geht unvermindert weiter. Subtil liegt auch diesem Phänomen eine Einstellung der Ungleichwertigkeit in den Köpfen der Lehrpersonen zugrunde. Sie erinnern sich an meine ursprüngliche Definition von Rassismus als Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen.

Männliche Anmache wird von Frauen häufig als Grund für ausgrenzendes und ablehnendes Verhalten ausländischen Männern gegenüber angegeben und das scheint tatsächlich für junge Frauen heute ein Problem zu sein. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass auch einheimische Männer Gewalt gegen Frauen anwenden, weniger offensichtlich im öffentlichen Bereich als im sozialen Nahraum Familie. Damit will ich keinesfalls die öffentliche Anmache, die jungen Frauen erleben, beschönigen und sie schränkt den Freiraum von Frauen in unakzeptabler Art und Weise ein. Deshalb haben Frauen das Recht sich dagegen zu wehren, das hat mit Rassismus nicht zu tun. Frauen müssen sich von niemandem bieten lassen, dass ihre Integrität verletzt wird, unabhängig vom Pass oder der Hautfarbe des Belästigers.

Ursachen von Rassismus

Warum hat der Rassismus in den letzten Jahren wieder zugenommen? Da muss man vor allem ins letzte Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts zurückblenden, um eine Erklärung zu finden. In den 90er Jahren kumulierten zwei Krisenelemente: die grösste Rezession der Nachkriegszeit mit gegen 200 000 Arbeitslosen und Ausgesteuerten und eine enorme kulturelle und politische Verunsicherung, eine veritable Identitätskrise der Schweiz. Ausgelöst wurde diese Krise zu Beginn der 90er Jahre im Zusammenhang mit der EWR-Abstimmung durch die Diskussion um die europäische Integration und weiter genährt wurde sie in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts durch die Diskussion um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Zum ersten Mal erlebte meine Generation, dass das heile Schweizbild Kratzer bekam, zum ersten mal stand unser Land als Profiteuse, als Kriegsgewinnlerin in der Kritik der Weltöffentlichkeit. Und - fast - niemand eilte zur Seite.

Was lässt sich daraus ableiten? Die Häufigkeit und Heftigkeit des Diskurses über Fremde und Fremdes und die Ablehnung und Ausgrenzung nimmt dann zu, wenn viel Verunsicherung herrscht im Land. Die populistische These, dass die hohen Ausländerzahlen schuld an der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit seien, lässt sich weder historisch noch wissenschaftlich beweisen. Eher zutreffend dürften die folgenden Aussagen sein:

  • «Je grösser die Desintegrationsprobleme in der aufnehmenden Gesellschaft sind, desto grösser sind auch die Integrationsprobleme der Aufzunehmenden.» (Wilhelm Heitmeyer)
  • «Ein genügend problemloser Umgang mit dem Fremden setzt die Existenz einer stabilen eigenen Identität voraus.» (Gaetano Romano)
  • «Die zunehmende Fremdenfeindlichkeit hat ihre Ursache hauptsächlich nicht in der Zahl der anwesenden Ausländer, sondern in Verelendungsängsten, Perspektivelosigkeit und in der Schwierigkeit, Modernisierungsprozesse zu verarbeiten.» (Georg Kreis)
  • «Der moderne Rassismus entsteht als Antwort auf die Zumutungen der Moderne.» (Andreas Wimmer)
  • Diese Analysen sind nicht eine Erfindung unsere Zeit. Schon Hannah Arendt versuchte den aufkommenden Faschismus der 30er Jahre so zu erklären: «Die zunehmende Verlassenheit treibt den modernen Menschen so leicht in die totalitären Bewegungen.»

Wenn alle diese gescheiten Leute recht haben, – und davon gehe ich aus – dann ist auch in Zukunft mit einem stark rassistischen, fremdenfeindlichen Diskurs in der Schweiz zu rechnen, denn die Phänomene der Desintegration werden durch die zunehmende Mobilität, durch das Auflockern der Bindungen an traditionelle Milieus wie Familien, Kirchen, Vereine, Gewerkschaften tendenziell eher zu- statt abnehmen. Die Globalisierung der Wirtschaft trägt zu dieser Desintegration ebenfalls bei, da für die globalisierte Wirtschaft der mobile Mensch ohne mobilitätsbehindernde soziale Bindungen der ideale Mensch ist. Die, welche nicht zu den Gewinnern in diesem Globalisierungswettbewerb gehören und sich auf der Verliererseite wiederfinden oder befürchten, zu den zukünftigen Verlierern zu gehören, sind anfällig für einfache Erklärungen für ihre Entfremdung und Entwurzelung: das Fremde und die Fremden. Menschen ohne wirtschaftlich gesicherte Perspektive und voller Angst vor der Zukunft sind kaum offen und neugierig für Neues und Unbekanntes und je mehr Bekanntes ihnen abhanden kommt, umso mehr wächst die Angst vor Neuem, ein Teufelskreis!

Ich denke, dass nebst der Politik auch die Verantwortlichen in der Wirtschaft dringend anfangen sollten, sich über diese Zusammenhänge Gedanken zu machen.

Politische Profiteure

Eine schlechte Wirtschaftslage, Perspektivelosigkeit und Zukunftsängste allein genügen jedoch nicht, das gesellschaftliche Klima so zu verschlechtern, wie wir es seit den 90er Jahren erleben, es braucht politische Scharfmacher, die aus diesen Krisensymptomen ihren Profit schlagen und den Verunsicherten weismachen, sie hätten die Schuldigen für alles Unbehagen im Land gefunden, nämlich die Fremden (und die Lieben und die Netten, die sich für sie engagieren). Die Botschaft ist verführerisch und heisst: «Wenn dir alle Sicherheiten abhanden kommen, dann kann man dir eines nicht nehmen, nämlich dass du Schweizer bist.» Die von einer auf Abbau ausgelegten Sozialpolitik Betroffenen werden so über die nationale Schiene ins Boot hereingeholt. Der Effekt ist raffiniert: statt dass sie sich über die Sozialabbauer ärgern, lenken sie ihren Frust auf die Fremden.

Das verhindert eine offene und faire Debatte über die Probleme und Schwierigkeiten, die das Zusammenleben in einer multiethnischen Gesellschaft mit sich bringt. Es gibt tatsächlich teilweise unterschiedliche Vorstellungen über den Umgang mit Konflikten, über Geschlechterrollen, über den Grad der Anpassung an hiesige Lebensformen, es gibt desintegrierte, in Banden auftretende Jugendliche der zweiten Generation, die andere Jugendliche bedrohen und anpöbeln und junge Frauen belästigen, es gibt gewalttätige Auseinandersetzungen unter ausländischen Männern, die ihre Ursache oft in ethnischen und politischen Konflikten in deren Herkunftsländern haben. Probleme dieser Art sind Teil des Alltags in heterogenen Gesellschaften wie die Schweiz heute eine ist und sie sind weder zu verharmlosen noch zu übertreiben. Die Frage ist viel mehr, wie wir mit diesen realen Schwierigkeiten umgehen. Ein Wundermittel gibt es nicht, aber eines ist sicher: schüren und hetzen sind der falsche Weg und schaffen mehr Probleme als sie lösen.

Die fatalen Folgen einer solchen Politik zeigen sich zum Beispiel bei der Einbürgerungs- und bei der Asyldebatte. Da werden ganze Bevölkerungsgruppen in Sippenhaft genommen. Wenn bei einem Verbrechen der Täter aus einem bestimmten Region wie z. B. dem Balkan kommt, riskieren alle Personen aus dieser Region, nicht eingebürgert zu werden. Statt dass den Eingewanderten ein möglichst rascher Zugang zu den politischen Rechten gewährt wird, baut man sogar noch weiter Barrieren in das ohne hin schon hindernisreichste Einbürgerungsverfahren ganz Europas ein, wie Urnenabstimmungen, Sprachtests usw.. Glücklicherweise gibt der Bundesrat mit seinen Reformvorschlägen zur rascheren und einfachen Einbürgerung der zweiten und dritten Generation Gegensteuer, aber ich garantiere Ihnen jetzt schon, dass das eine der heftigsten politischen Auseinandersetzungen der Zukunft werden wird.

Schule und Rassismus

Ich möchte noch einen kurzen Blick auf die Schule werfen, denn die Schule ist keine Insel der Glückseligen, sondern Teil der Gesellschaft. Und als solcher ist die Schule auch Spiegel dessen, was in der Gesellschaft passiert und alle Fragen und Probleme tauchen früher oder später auch in der Schule auf. Rassismus und Rechtsextremismus tangieren einen zentralen Grundwert unseres Bildungssystems, geht dieses doch von einem Menschenbild aus, für das die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen gilt. Diese Grundhaltung prägt auch entscheidende Zielsetzungen des Gesetzes über die Volksschulbildung des Kantons Luzern, wie die folgenden Ausschnitte belegen:

  • «Die Volksschule richtet sich – ausgehend von der christlichen, abendländischen und demokratischen Überlieferung – nach Grundsätzen und Werten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Toleranz, Solidarität und Chancengleichheit;
  • Sie fördert die Achtung und Verantwortung gegenüber sich selbst, den Mitmenschen und der Mitwelt;
  • Sie fördert das Verständnis für Religionen und Kulturen und weckt die Bereitschaft und die Fähigkeit, Konflikte gewaltfrei auszutragen und zu lösen.»

In der Erklärung der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) zu Rassismus und Schule wird die gleiche Grundhaltung postuliert:

«Die Schule hat zur Achtung vor den Mitmenschen, zur Toleranz unter religiösen u. a. Gruppen und zum Frieden unter den Völkern zu erziehen. Unterricht und Erziehung in der Schule wirken darauf hin, dass offene und versteckte Formen von Rassismus bewusst gemacht und bekämpft werden und dass die Begegnung mit fremden Menschen offen und angstfrei verlaufen kann.»

Die Schule kann sich auf verschiedenen Stufen, mit vielfältigen Mitteln und auf verschiedenen Wegen gegen Rassismus engagieren. Forschungsergebnisse belegen, dass die Vermittlung von Wissen zwar eine wichtige Basis bildet, dass aber Kenntnisse allein Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nicht zu beseitigen vermögen. Vorgelebte Gewaltlosigkeit und Rücksichtnahme, gerade gegenüber schwächeren SchülerInnen, noch so gering erscheinende Ansätze praktizierter Demokratie und gegenseitiger Achtung, mutige und konsequente Solidarität mit Opfern von Ausgrenzung, Diffamierung und Diskriminierung sind unersetzliche Erfahrungen. Nebst dem Schutz der Opfer und der Wissensvermittlung ist auch die Haltung der Institution Schule wichtig. Es braucht eine institutionelle Stellungnahme in Form eines Leitbildes oder einer Charta, die klare Aussagen zu Rassismus macht.

Zum Schluss: Handlungsmöglichkeiten gegen Rassismus

Ich möchte nicht mit der Analyse des Phänomens aufhören, weil das möglicherweise ein ungutes Gefühl zurück lässt, sondern auch noch Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, was Sie in Ihrem Alltag gegen Rassismus tun können.

Da gibt es die Ebene des Berufsalltags. Was ich zur Schule gesagt habe, gilt auch hier:

  • Es braucht eine klare Haltung der Institution (Leitbilder, Charta).
  • Es braucht Anlaufstellen für Opfer, da ist ein grosser Handlungsbedarf.
  • Soziale Institutionen sind prädestiniert, öffentlichkeitsarbeit zu machen

Es gibt die persönliche Ebene:

  • Sie können sich einmischen, wenn rassistische Vorfälle in der öffentlichkeit (Medien, Plakate, Inserate, Leserbriefe) passieren durch Stellungnahmen, Leserbriefe, Briefe an Urheber.
  • Sie können die so genannte Bystanderrolle ablegen, Zivilcourage an den Tag legen, indem Sie direkt intervenieren, wenn Sie Zeugen von Vorfällen im öffentlichen Raum werden.
  • Sie reagieren konsequent auf rassistische äusserungen und Handlungen im privaten Umfeld und drücken Ihr Missfallen, ihre Nichtakzeptanz aus.
  • Sie können sich politisch engagieren in einer NGO oder Partei mit entsprechendem Programm.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das Engagement für ein antirassistische Umgebung auch ein Stück Psychohygiene ist, um all das Destruktive, Menschenfeindliche auszuhalten, das vom Rassismus ausgeht.

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