Interreligiöser Dialog aus der Sicht von Frauen
| Laudatio von Cécile Bühlmann, Geschäftsleiterin des cfd, an der Buchvernissage
Damit es anders wird zwischen uns
Damit es anders wird zwischen uns – Interreligiöser Dialog aus der Sicht von Frauen
von Doris Strahm und Manuela Kalsky
Broschiert – 158 Seiten – Matthias-Grünewald-Verlag
ISBN: 3786726043
Ungewollte Aktualität
Das hätten sich die Autorinnen wohl auch nicht träumen lassen, als sie sich vor längerer Zeit an dieses Buchprojekt machten, dass sie bei seiner Veröffentlichung sozusagen brandaktuell sein würden, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes! Vor wenigen Wochen brannten Kirchen und Moscheen in vielen Teilen der Welt und in einigen muslimischen Ländern wurden dänische Botschaften in Brand gesteckt. Und all das, weil eine rechte dänische Provinzzeitung Mohammed-Karrikaturen veröffentlicht hatte, die viele Muslime in aller Welt als beleidigend empfanden. Seither wogt eine Medienwelle zum Thema «Islam» über uns hinweg, auch hier in der Schweiz, obwohl weder die Karrikaturisten Schweizer sind, noch die in Brand gesteckten Gebäude in der Schweiz gestanden haben. Wenn ich all die Medienerzeugnisse der letzten paar Wochen zu diesem Thema hätte sammeln wollen, hätte es ein dickes Buch und eine recht grosse DVD-Sammlung ergeben.
Das zeigt, dass die Welt endgültig ein Dorf geworden ist und dass die Globalisierung der Kommunikationsmittel auch dazu führt, dass eine Empörungswelle um den Erdball geschickt werden kann, die von Brandstiftern aus unterschiedlichsten Motiven am Leben gehalten wird. Andererseits sind weltweit auch «Feuerwehren» zur Stelle, die den Brand zu löschen versuchen, auch hier in der Schweiz. Damit will ich keinesfalls den Autorinnen des Buches unterstellen, sie hätten etwa das Feuerlöschen als Motiv für ihr Buch gehabt. Ich unterstelle ihnen viel mehr die gute Absicht, dass sie ein langfristiges, ein nachhaltiges Projekt vor Augen hatten, weil sie die Gefahr erkannt haben, die im hemdsärmligen, unsorgfältigen Umgang zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung in Fragen der Religionen und deren Instrumentalisierung für politische Zwecke liegt.
Und da gab es ja in den letzten Jahren Anschauungsunterricht zu Hauff! Begonnen hat es mit dem Angriff auf das Word Trade Center in New York am 11. September 2001, dann folgten die Ermordung Van Goghs in Holland und die Angriffe auf die Züge in Madrid und London und nun sind es die Karrikaturen aus Dänemark. Es fällt auf, dass die Kadenz zwischen den Ereignissen immer kürzer wird und dass die Scharfmacher immer schrillere Töne anschlagen, so dass immer mehr Leute glauben, Samuel Huntington hätte wahrscheinlich schon recht mit seinem düsteren Szenario vom Kampf der Kulturen.
Und weil nun das Erscheinen des Buches und der Karrikaturenstreit zeitlich fast zusammenfallen, kommen die Autorinnen nicht umhin, halt doch auch als eine Art Feuerlöscherinnen zum Einsatz zu kommen. Das ist gut so! Denn es ist gute PR für das Buch, weil für jene, denen der aufgeregte Diskurs nicht passt, kommt es gerade zur rechten Zeit. Für sie wird es zum Referenzpunkt für einen anderen Umgang mit dem schwierigen Thema des Zusammenlebens von Angehörigen verschiedener Religionen und ich kann dem Buch nur wünschen, dass es das noch lange bleibt, auch wenn die aktuelle Empörungswelle wieder verebbt sein wird!
Das neueste Beispiel eines Medienerzeugnisses war die Sternstunde des Schweizer Fernsehens vom letzten Sonntag, in der eine der Autorinnen dieses Buches, Ryfa’at Lenzin, zu Gast war und Red und Antwort stand zur Frage, ob der gezeigte Film «Zwischen Handy und Koran» repräsentativ für die Vielfalt muslimischen Lebens in der Schweiz sei. Sie hat die Aufgabe mit der Differenziertheit gemeistert, die auch das Buch auszeichnet, welches der Anlass ist, weshalb wir heute hier zusammenkommen. Und diese Differenziertheit wünschte ich mir im Diskurs über den Islam, dann hätten wir wohl einige Problem weniger. Ich finde es geradezu fahrlässig, dass die einzige Partei, die ein C für christlich im Namen trägt, ein so genanntes Muslimpapier zu veröffentlichen gedenkt. Ich finde nicht nur dass sie es tut, eine Anmassung, sondern dass es unter der Leitung eines Politikers entstanden ist, der von sich selber sagt, vom Thema nichts zu verstehen und dass es geschrieben wurde, ohne jeden Austausch mit Betroffenen.
Beteiligung der Betroffenen
Da macht uns das Buch «Damit es anders wird zwischen uns» etwas vor, das beispielhaft ist: es kommen christliche, jüdische und muslimische Frauen selber zu Wort, es wird nicht über sie geschrieben, sondern die Definitionsmacht liegt bei jeder von ihnen selbst. Drei von ihnen sind heute Abend hier: Doris Strahm, Eva Pruschy und Ryfa’at Lenzin.
Doris Strahm ist als eine der beiden Herausgeberinnen so etwas wie der Kopf und das Herz des Projektes, ohne sie wäre das Buch wohl nie entstanden. Ich habe, da Doris Präsidentin des cfd ist und ich beim cfd als Geschäftsleiterin arbeite, häufig mit ihr zu tun und deshalb mitbekommen, wie herausfordernd, spannend, aber auch aufwändig und stressig eine solche Buchproduktion sein kann. Im weiteren ist Eva Pruschy hier, sie ist Gesprächsteilnehmerin im letzten Kapitel des Buches, in dem sie zusammen mit Doris Strahm und Amira Hafner-Al Jabaji, die heute leider nicht hier sein kann, der Frage nachgeht, was denn über das Trennende hinaus dem Judentum, dem Christentum und dem Islam gemeinsam sei. Da heisst es zum Beispiel, dass alle drei nicht monolithische Wertsysteme seien, sondern dass es bei allen drei Religionen beim genauen Hinschauen um Fragen von Fundamentalismus, Aufklärung und Emanzipation gehe, dass diese Grundsatzfragen in allen religiösen Diskursen zu finden seien.
Mehr Gemeinsames als Trennendes
Ich zitiere dazu Doris Strahm aus ihrem Gespräch mit Eva Pruschy und Amira Hafner-Al Jabaji: «Du hast gesagt, dass die jüdische wie die muslimische Glaubensgemeinschaft verschiedene Stimmen oder Positionen umfasst. Das Gleiche gilt auch für das Christentum. So habe ich als feministische Theologin eine andere Position gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Fragen als die konservative EVP und beide beziehen wir uns aufs Christentum. Dasselbe geschieht im Judentum und im Islam. Und genau dies ist für mich der springende Punkt: Wie gehen wir damit um, dass sich verschiedene Positionen, auch ganz gegensätzliche, auf dieselbe Religion beziehen und dass sie sich ein Stück weit unangreifbar machen, indem sie ihre Sicht in einem religiösen Wahrheitsanspruch, einer göttlichen Wahrheit verwurzeln? Viele religiöse Gruppierungen entziehen sich so ja auch der Kritik und der öffentlichen Diskussion. Ganz aktuell steht für mich dahinter die Frage, wie wir mit Glaubensvorstellungen umgehen, die mit dem eigenen Glaubensverständnis nicht vereinbar scheinen, die uns Angst machen. Ich meine damit konkret den zunehmenden Fundamentalismus und religiösen Extremismus in allen drei Religionen, der nicht zuletzt auch für uns Frauen sehr negative Folgen hat. Wir haben gesagt, dass wir über Ethik reden wollen, über gemeinsame Werte, über die Frage, wie wir als religiöse Frauen gemeinsam auf eine friedvolle und gerechte Gesellschaft hinarbeiten. Gleichzeitig können wir nicht ausblenden, dass gerade die Religionen in diesem Prozess immer wieder auch eine negative Rolle gespielt haben und aktuell wieder spielen; dass sie zum Teil das, was wir anstreben, nämlich ein gutes Leben und Zusammenleben aller Menschen – gerade auch verschiedener Menschen – behindern oder gar verhindern. Wie gehen wir damit um?»
Frauenfeindlichkeit in allen Religionen
Das ist für mich eine Schlüsselstelle des Buches. Ebenso die Stelle, an der Eva Pruschy auf die Frauenfeindlichkeit aller drei Religionen zu sprechen kommt: «Wir wollten in diesem Gespräch auch über Religion und Ethik nachdenken. Für das Judentum heißt dies, die Gebote der Tora einzuhalten und damit die göttliche Präsenz in dieser Welt zu manifestieren. Aufgabe der Menschen als Ebenbild Gottes ist es, die Welt vollkommener und damit auch gerechter zu machen. Nun steht die zweitrangige Stellung der Frau aber im Widerspruch zu unserer ethischen Vorstellung von Gerechtigkeit und Recht, welche sich vom biblischen Konzept her entwickelt hat. Diese meint ja, die Macht des Mächtigen einzuschränken. Das haben wir alle drei gemeinsam, denke ich, dass wir uns mit einer patriarchalen Religion konfrontiert sehen, die ihre eigenen Ansprüche nicht verwirklichen kann. Das Gemeinsame in unserer Arbeit als religiöse Frauen sehe ich darin, in unseren Religionen darauf hinzuarbeiten, dass dieser Anspruch auf Würde und auf Gerechtigkeit eines Tages auch für die Frauen eingelöst sein wird. Das beinhaltet für mich, dass wir Anteil haben an der Definitionsmacht in unseren Religionsgemeinschaften.»
Echter Dialog
Was mir auch sehr Eindruck gemacht hat, sind die Dialogprinzipien nach Sahra-Hagar, den Stammmüttern von Jüdinnen, Christinnen und Musliminnen, welche im Text von Carola von Braun beschrieben werden.
- Wir sind im Dialog miteinander Lernende.
- Wir bringen uns gegenseitig «radikalen Respekt» entgegen, nicht im Sinne einer laschen, undefinierten Toleranz, sondern im Sinne einer aktiven Anerkennung.
- Wir versetzen und fühlen uns in die Gesprächspartnerin hinein, im Sinne eines empathischen Zuhörens.
- Wir arbeiten heraus, wo Annahmen und eventuell Vorurteile unser eigenes Weltbild prägen. Wir suspendieren diese Annahmen während des Dialogs und arbeiten so gemeinsam am Abbau von Vorurteilen.
- Wir sind bereit darzustellen, woher unsere Meinungen stammen, die Gegenseite zu hören und unsere eigenen Meinungen gegebenenfalls zu revidieren.
- Wir wollen keinerlei Missionierung. Es gibt keine endgültigen Wahrheiten, jede Tradition hat ihren eigenen Wert, keine ist besser als eine andere.
Schlussgedanken
Ich wünschte mir, diese Dialogregeln würden konsequent angewendet, sie würden Krieg verhindern, sie würden Frieden stiften, sie würden Vorurteile abbauen. Aber Hand aufs Herz, sie sind anspruchsvoll und ich ertappe mich ja selber immer wieder dabei, gerade im Kopftuchstreit, dass ich denke, dass es schon besser sei, wie wir Frauen im Westen es sehen und dass ich mir wünschte, dass andere Frauen die gleichen Rechte hätten wie wir, über sich selbst bestimmen könnten wie wir. Dieser leicht überhebliche westliche Blick eben, vielleicht kommt er Ihnen, liebe Anwesende auch nicht ganz unbekannt vor! Und dann zitiert Hatice Ayten im Briefwechsel mit Doris Strahm Fatima Mernissi, die sagt, dass die Kleidergrösse 36 vielleicht der Harem der westlichen Frauen sei. Ja, ist denn das die Freiheit, die wir meinen, dieser Harem im Kopf, immer schlank, immer jung, immer schön und faltenfrei sein zu müssen?
So hat das Buch immer wieder Überraschendes bereit, hält immer wieder einen Spiegel vor. Ich hätte noch viele Stellen mehr zitieren wollen, beim ersten Lesen habe ich Seitenzahlen und Stellen markiert, die ich in der Laudatio hätte nennen wollen, aber irgend einmal habe ich es aufgegeben, es wäre zuviel geworden. Obwohl ich mich selber seit Jahren mit Interkulturalität aus feministischer Sicht beschäftige, habe ich mich nie gelangweilt und das Buch vom Anfang bis zum Schluss mit grossem Interesse gelesen. Es liest sich leicht und ist doch nie banal, ich kann es nur empfehlen und wünsche ihm noch lange über den aufgeregten aktuellen Streit hinaus viel Aufmerksamkeit und viele aufmerksame Leserinnen und Leser.